Dienstag, 14. Dezember 2010

R.I.P. Abbey Lincoln

Am 14.8.2010 ist Abbey Lincoln mit 80 Jahren in New York City gestorben.
Abbey Lincoln, geboren als Anna Marie Woolridge, hat mit 21, also 1951, ihre musikalische Karriere als Sängerin in verschiedenen Tanzkapellen begonnen.
Neben ersten Erfolgen als Sängerin ab Mitte der 50er war sie auch als Schauspielerin erfolgreich. So sehr, dass sie in den 60er praktisch keine Alben aufnahm.

In den 70ern kehrte sie zurück auf die Bühne und präsentierte sich als politische Jazzsängerin, die mit einer klaren Botschaft für die Rechte der Farbigen und Frauen in den USA kämpfte. In Gedenken an den Präsidenten Abraham Lincoln ist ihr Künstlername entstanden.
Ihre politische Botschaft richtete sich auch gegen Einflüsse in den Jazz von aussen. Skandinavische Jazzer oder britische Popbands waren ihr ein Dorn im Auge (sie bezeichnete einmal die Beatles als schlimmste Plage, die über die amerikanische Musik gekommen sei).
Ich bin nicht mit allem einverstanden was Lincoln vertrat, aber sie war eine große Sängerin.

Als Erinnerung an Abbey Lincoln möchte ich ein paar Zeilen zu ihrem, 1999 erschienen, vorletzten Album „Wholly Earth“ schreiben. Ihr letztes Album „Abbey Sings Abbey“ ist eine Art Best Of Album mit neu eingesungenen Songs.
„Wholly Earth“ war ihr letztes Album mit wirklich neuen und atemberaubenden Liedern. Aufgenommen in New York und begleitet von einer Handvoll ausgezeichneter Jazzmusiker (Nicholas Payton (Trompete, Flügelhorn), Bobby Hutcherson (Vibraphon, Marimba), Marc Cary, James Hurt (Klavier), Michael Bowie, John Ormond (Bass), Alvester Garnett (Drums), Daniel Moreno (Percussion), Maggie Brown (Gesang)) zelebrierte sie hier noch einmal die große Abbey Lincoln!


1 – And It’s Supposed To Be Love
Aufmerksam wurde ich auf Abbey Lincoln als ich bei einer nächtlichen Autobahnfahrt den Song „And It’s Supposed To Be Love“ hörte.
Das klingt wie ein bittersüßes Liebeslied, aber es geht darum, dass eine Frau von ihrem Mann geschlagen wird und doch glaubte, es wäre Liebe gewesen. Das wird sparsam instrumentiert und doch sind Vibraphon und Piano unglaublich präsent – und das Marimba Solo in der Mitte ist unglaublich.
Doch der entscheidende Punkt, dass dieses Lied so eindringlich geworden ist, liegt an der glockenhellen Stimme ihrer Kollegin Maggie Brown, die Lincolns raue Altstimme ergänzt. Dieses Lied ist einfach unglaublich gut – und sehr lange konnte ich kaum etwas anderes hören.

2 – Midnight Sun
„Midnight Sun“, geschrieben von Lionel Hampton, ist ein ähnliches Kaliber und doch ganz anders. Es wird als Träumerei für Klavier und Vibraphon eingeführt, von Lincoln gesungen als stünde sie auf einer klitzekleinen Jazzbühne irgendwo in Downtown Manhattan und sänge für ein paar Typen an der Bar. Es ist so intim, wie ein Jazzstück nur sein kann.
Und es ist eine Hommage an ihren größten musikalischen Einfluss – Billie Holiday
Das ist so blue gesungen, dass einem auf der Stelle die Tränen kommen. Ganz wunderbarer gefühlvoller Jazz mit unglaublichen Improvisationen von Bobby Hutcherson am Vibraphon.

3 – Wholly Earth
Der Song beginnt wie ein sehr schräges Weihnachtslied. Die Ode an die Erde entwickelt sich zu einer Schlagzeugorgie und endet wieder als Weihnachtslied, wobei es am Ende immer verzweifelter klingt.
Lincoln verpackt die Botschaft der runden Erde in einen Stil, der fas genaue Gegenteil zeichnet. Die Melodie sagt: Alles wird gut. Der Gesang sagt: Die Katastrophe ist nah.
Genau so soll Jazz sein. Man kann durch Phrasierungen und Musik die Botschaft ändern.

4 – Look To The Star
Erneut ein ganz klassischer Jazzsong, der von Lincoln in der Tradition alter Jazz- und Bluessängerinnen gesungen wird. Das tragende Instrument ist erneut das Vibraphon, das mittendrin von einem weichen aber dennoch akzentuierten Flügelhornsolo abgelöst wird.
Lincolns Stimme erinnert mich hier beinahe an Ella Fitzgerald. Sie singt „warm and beautiful“, immer wieder mit kleinen Schlenkern aber einfach überirdisch schön.

5 – Another World
Der Anfang dieses Liedes ist einfach stark. Hutcherson schlägt die tiefsten Töne seines Vibraphons wie ein Glockenschlag. Garnett am Schlagzeug spielt ein sensibles Rhythmusfundament und Lincoln verleiht diesem etwas getragenen Lied eine große Würde.
Ein Gospel in Jazzgestalt. Neun Minuten, die einen wirklich in eine andere Welt versetzen.

6 – Conversation With A Baby
Dies ist der vielleicht leichteste Song des Albums. Vor allem ist es weniger eine „Conversation“ als eher ein Prayer für ein Baby.
Man merkt aber, dass Lincoln eher die schwierigen Sachen liegen. Dieser Song ist ein wenig vorhersehbar, textlich und musikalisch, und sogar das Vibraphon klingt ein wenig verschmupft.

7 – If I Only Had A Brain
Ein Klassiker! Klassisch gespielt und gesungen. Schlagzeug, Klavier, Gesang
Abbey Lincoln singt puren Jazz. Sie swingt, gleitet durch die Tonlagen, beschleunigt, stoppt an manchen Stellen.
Hallo Amy Winehouse – so macht man das!

8 – Another Place, Another Time
Oh Mann, dieser minimalistische Gesang wirkt schon beinahe künstlich, doch man merkt, dass Lincoln hier nur ihre Instrumentalkollegen featured.
Jeder hat sein Solo. Hutcherson am Vibraphon, Marc Cary am Klavier – aber vor allem Nicholas Trompete setzt Akzente.
Lincoln hält sich bei diesem Benny Carter Song hörbar zurück.

9 – Caged Bird
Tja, warum singen eingesperrte Vögel? Sie sind für’s Singen geschaffen.
So ging es auch den jazzigen Schwarzen Anfang der 40er, 50er. Sie waren in ihren Bereichen eingesperrt und sangen und spielten dennoch.
Und genau darum geht es in diesem Lied – aber die beiden Solistinnen verlieren nie die Vögel aus den Stimmen und scatten, pfeifen, trillern was das Zeig hält.
Stellenweise experimentell – ein großes Lied mit einer großen Botschaft!

10 – Learn How To Listen
Ein Rückblick auf ihr Album mit einem Song, der uns noch einmal daran erinnert, dass wir die Schönheit der Musik nur erfahren können, wenn wir zuhören.
Auch hier mache ich das gerne. Lincolns letztes Stück ist eine Hommage an die Musik, an ihre Musik, mit der sie mich eine gute Stunde in ein anderes Universum versetzt hat.



Ich liebe dieses Album. Als es erschien habe ich es eine kleine Ewigkeit immer wieder gehört. Abbey Lincoln singt so warm, eindrucksvoll und jazzig wie es nur die herausragenden Sängerinnen ihrer Generation konnten.
Das sind die Frauen um Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Sarah Vaughn. In dieser Riege spielt Lincoln keine kleinere Rolle. Allerdings singt sie eben nicht nur über ihre persönlichen Befindlichkeiten, sondern setzt auch darüber hinaus Maßstäbe.
Dabei kann sie so blue singen wie Lady Day, so klar phrasieren wie Ella und so musicalesk mit ihrer Stimme spielen wie Sarah.
Auf „Wholly Earth“ zeigt sie zum letzten Mal ihre riesige Bandbreite.

Als Erinnerung an eine große Sängerin ist dieses Album perfekt – eben weil es perfekt ist!

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